„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“

„Ein Zeugnis hoffnungslosen Scheiterns“ nannte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier die „Berliner Mauer“ bei der zentralen Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages des Baus der „Berliner Mauer“.

Eine in weiten Teilen treffende Einschätzung. Man kann aber auch eine etwas selbstkritischere Haltung einnehmen. Das System „DDR“ bzw. die Berliner Mauer haben immerhin 28 Jahre lang gehalten. Bei ihrer Entstehung hat der „Westen“ mehr oder weniger tatenlos zugesehen, natürlich mit dem größten Entsetzen, gefolgt von zahllosen medienwirksamen Solidaritätsbekundungen in den Jahren danach. Aber der Reihe nach…

Die Situation vor dem Mauerbau

Im Jahr 1960 flüchteten 199.188 Menschen aus der DDR, davon drei Viertel (152.291) über die noch offene Sektorengrenze von Ost- nach West-Berlin. Auch im Januar 1961 hält der Flüchtlingsstrom an: 16.697 Menschen aus der DDR treffen im Westen ein; davon sind 47,8 Prozent Jugendliche unter 25 Jahren. Unter denen, die „rübermachen“ sind vor allem Akademiker, Wissenschaftler, Fachkräfte, Studierende. Es stellt sich ein „Arbeitskräftemangel“ ein, der in der DDR schon bald spürbar wird. Es fehlt praktisch an allem: Kartoffeln, Getreide, Stahl, Arbeitskräfte. Walter Ulbricht beschreibt es in einem Telefonat mit Nikita Chruschtschow so:

„Um die Stimmung in der DDR zu verändern, muss man der Bevölkerung die wirtschaftliche Lage erklären und Ihr eine ökonomische Perspektive aufzeigen, die sie gegenwärtig nicht hat.“

Ein folgenschweres Telefonat

Dieses Zitat ist einem Telefonat entnommen, das Ulbricht mit Chruschtschow am 01. August 1960 geführt hat. Es dauert ganze zwei Stunden und 15 Minuten. Chruschtschow hält sich mit Kritik an der DDR-Führung nicht zurück und bemängelt die desolate Wirtschaftslage, die seiner Einschätzung nach u. a. auf gravierende Fehler in der Außenhandelspolitik zurückzuführen sei. Er kritisiert aber auch die massenhafte Abwanderung von DDR-Bürger:innen in die Bundesrepublik. Die Grenzschließung ist zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Sache, die Art der Umsetzung ist ebenfalls Gesprächsthema:

N. S. Chruschtschow:

„Ich habe eine technische Frage. Wie wird die Kontrolle auf den Straßen realisiert, wo eine Seite in der DDR und die andere in Westberlin liegt?“

W. Ulbricht:

„Wir haben einen bestimmten Plan. In den Häusern, die Ausgänge nach Westberlin haben, werden die vermauert. An anderen Stellen werden Stacheldrahthindernisse errichtet. Der Stacheldraht ist bereits angeliefert. Das kann alles sehr schnell geschehen. Schwieriger wird es mit dem Verkehr. Wir werden die Bahnsteige von S- und U-Bahn für das Umsteigen nach Westberlin umbauen.“

Eine der dreistesten Lügen der Geschichten

Die berühmtgewordene Antwort Ulbrichts auf eine konkrete Frage der Frankfurter Rundschau im Rahmen einer Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ kann getrost als eine der dreistesten Lügen der jüngeren Geschichte bezeichnet werden.

Wie ernst die Situation war, kann man auch daran erkennen, dass mit Wirkung vom 1. August General Bruce C. Clarke, der Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Europa, die Ausgangs- und Urlaubsbestimmungen für die in Deutschland stationierten US-Soldaten verschärft. Seine Begründung: „Wenn wir eines frühen Morgens Krieg führen müssen, können wir nicht in jedem Gasthaus in Deutschland wegen unserer Soldaten anrufen."

Tatsächlich kam es nicht zum „Krieg“. Im Gegenteil. Die Reaktion des Westens war sehr zurückhaltend. Die Teilung Deutschlands gehörte mittlerweile zum Status Quo der Siegermächte.

Eine tödliche Grenze

Das, was als Schließung eines „Schlupflochs“ mit Stacheldraht begann, wuchs sich zu einer der längsten und am schärfsten beachten Grenzanlagen der Geschichte aus:

1.393 Kilometer Kontrollstreifen, Minenfelder, Wachtürme, Gräben, Hundelaufanlagen und Selbstschussautomaten. 47.000 Mann der DDR-Grenztruppen bewachten die innerdeutsche Grenze. Der Schießbefehl sollte jeglichen Fluchtversuch unterbinden. Nach aktuellen Erkenntnissen sind in der Zeit von 1949 und 1989 insgesamt 420 Menschen bei Fluchtversuchen aus der DDR getötet worden. 154 starben an der Berliner Mauer, 244 an der innerdeutschen Grenze und acht in der Ostsee, die übrigen an der DDR-Grenze zum Ausland.

Die Folgen für die Menschen

Die Bevölkerung der DDR wurde eingesperrt! Im Laufe der Zeit erfolgte eine Resignation der Menschen, eine Art Gewöhnung und ein Rückzug ins Private. Das SED-Regime schreckte allerdings auch vor der Privatsphäre nicht zurück und baute die Staatssicherheit zu einer gefährlichen und machtvollen Spionagebehörde aus, die sich auch gegen die eigene Bevölkerung richtete (meisterhaft dargestellt in dem Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“).

Wir alle tragen eine Verantwortung

Der Bundespräsident belässt es nicht bei der Erinnerung an den 13. August 1961. Er appelliert: "Freiheit und Demokratie sind nie naturgegeben, nie ein für alle Mal erreicht. Freiheit und Demokratie müssen erkämpft, dann aber auch geschützt, verteidigt und erhalten werden. Freiheit und Demokratie brauchen entschiedenes Engagement und Leidenschaft."

Damit knüpft er nahtlos an eine der berühmtesten Reden der Politikgeschichte an, die von einem der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts am 26. Juni 1963 in Berlin gehalten wurde:

„[…] There are many people in the world who really don't understand, or say they don't, what is the great issue between the free world and the Communist world. Let them come to Berlin. There are some who say that communism is the wave of the future. Let them come to Berlin. And there are some who say in Europe and elsewhere we can work with the Communists. Let them come to Berlin. And there are even a few who say that it is true that communism is an evil system, but it permits us to make economic progress. Let them come to Berlin.

Freedom has many difficulties and democracy is not perfect, but we have never had to put a wall up to keep our people in, to prevent them from leaving us. […]

All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words "Ich bin ein Berliner."
J.F. Kennedy

Linkliste:

https://www.mauerbau.berlin/

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/60-Jahre-Mauerbau-Packende-Historie-in-der-ARD-Mediathek,mauerbau172.html

https://www.bpb.de/dialog/338372/das-quiz-zum-mauerbau